Die Türhüterlegende und ihre Bedeutung für Kafkas ‘Prozeß’
Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte - Tập 37 - Trang 50-70 - 1963
Tài liệu tham khảo
Max Bense (‘Die Theorie Kafkas’, Köln und Berlin, 1952) überzeugt mit seiner negativen Behauptung, daß Kafka kein Darsteller der objektiven Wirklichkeit ist. Aber indem er Kafkas »Seinsthematik« ausschließlich als die Thematik des subjektiven Bewußtseins im Sinne Husserls und Heideggers versteht, übersieht er das wesentliche, religiöse Anliegen Kafkas. So kommt er dazu, Kafka dem Surrealismus zuzuordnen, für den der Unterschied zwischen Realität und Irrealität bedeutungslos ist, weil er sich nur mit den Inhalten des subjektiven Bewußtseins befaßt. Benses Auffassung ist der von Camus verwandt, der Kafka als den »absurden Schriftsteller« schlechthin verstanden hat. Die theologischen Interpreten Kafkas verfallen zum Teil in den entgegengesetzten Fehler. Sie gehen von einer religiösen Realität aus, der sie dieselbe Existenz wie dem Gegenständlichen zuschreiben und glauben, in Kafkas Welt Verkörperungen dieser objektiven religiösen Realität zu erkennen. Ihnen gegenüber ist Bense im Recht, wenn er bestreitet, daß es Kafka um Darstellung irgendwelcher objektiven Wirklichkeit geht, gleich ob einer natürlichen oder einer übernatürlichen. — Es ist erstaunlich, daß Interpreten wie Bense oder Karl Heinz Volkmann-Schluck (Bewußtsein und Dasein in Kafkas ‘Prozeß’, Neue Rundschau LXII, 1951, S. 38 bis 48), die durch ihre existentialistische Denkweise einen leichteren Zugang zu Kafka haben sollten, diesen Vorteil nicht zu gebrauchen wissen, sondern — nicht anders als die theologischen und metaphysischen Ausdeuter Kaf kas — dem Dogmatismus einer Schule verfallen.
Gerhard Kaiser, Franz Kafkas ‘Prozeß’. Versuch einer Interpretation, Euphorion LII (1958), S. 41f.
In den Aufzeichnungen ‘Er’ heißt es: »Er wehrt sich gegen die Fixierung durch den Mitmenschen. Der Mensch sieht, selbst wenn er unfehlbar wäre, im anderen nur jenen Teil, für den seine Blickkraft und Blickart reicht. Er hat wie jeder … die Sucht, sich so einzuschränken, wie ihn der Blick der Mitmenschen zu sehen die Kraft hat« (B 284). Einer solchen »Fixierung durch die Mitmenschen« ist Joseph K. bei seiner Verhaftung ausgesetzt. Nicht nur die Wächter und der Aufseher halten ihn für schuldig, sondern auch der Blick der Leute aus dem gegenüberliegenden Hause fixiert ihn als schuldig. Ich kann nicht beurteilen, ob Sartre zu seinen Überlegungen über den »Blick des anderen« durch Kafka angeregt wurde. Jedenfalls entspricht Sartres Gedanke, daß der Mensch durch den Blick des anderen, der ihn zum Objekt macht, seiner Freiheit beraubt und sich selbst entfremdet wird, ganz Kafkas »Fixierung durch den Mitmenschen«. Vgl. Jean Paul Sartre, L’Être et le Néant, Paris, 1943, III. Teil, 1. Kap., § 4.
Dies tun Herbert Tauber (‘Franz Kafka. Eine Deutung seiner Werke’, Zürich und New York, 1941, S. 91) und Emrich. Letzterer schreibt: »Nur die Welt und ihre Ordnungen verstellen dem Menschen den Eintritt ins Gesetz, … solange der Mensch lebt. In dem Augenblick, in dem er … der Welt zu entsagen versuchte, lebte er im Gesetz« (op. cit. S. 266f).
Die Gegenüberstellung von Mystik und Schuldbewußtsein ist Paul Tillichs Aufsatz ‘Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung’ (Gesammelte Werke, Stuttgart, 1959, I, S. 13–108) entnommen. Mit ihrer Hilfe läßt sich deutlicher als durch andere gedankliche oder ästhetische Gesichtspunkte erkennen, daß Kafka nicht, wie Emrich behauptet, in die Tradition der deutschen Klassik gehört, die philosophisch auf der Identität von Geist und Natur, Subjekt und Objekt, Innen und Außen begründet ist. Diese Feststellung ist wichtig, denn sie erklärt, warum Literaturkritik, die mit den klassischen Begriffen und Werten arbeitet, zu einer falschen Deutung von Kafkas Werk und oft zu einer Verwerfung des Werkes sowohl wie des Mannes führen muß. Hier ist auch der Grund dafür zu finden, daß sich so viele Kritiker Kafkas in der merkwürdigen Lage befinden, ihn gegen ihre eigenen Urteile und den eigenen Verdacht des Nihilismus verteidigen zu müssen Wer dagegen Kafkas Verwandtschaft mit dem biblischen Prophetentum, mit dem Kant der ‘Praktischen Vernunft’ mit Kierkegaard, dem Existentialismus und der Theologie der Krise erkannt hat, befindet sich nicht in dieser Verlegenheit. Mit diesen hat Kafka zwar auch nicht die Lösungen gemein, aber immerhin die Fragen. Deswegen haben manche Interpreten einen besseren Zugang zu Kafka vom Existentialismus oder der Theologie her gefunden als von der traditionellen Ästhetik oder Literaturkritik. Nur dürfen sie sich diesen Zugang nicht wieder verbauen, indem sie Kafkas existentiellen Fragen dogmatische Antworten aufzwingen.
Erich Heller, Enterbter Geist, Frankfurt a. M., 1954, S. 306.
Günther Anders (‘Kafka, Pro und Contra’, München, 1951, S. 36) spricht in diesem Zusammenhang von »Paralysierung der Zeit«. Das ist ein guter Ausdruck für das Stillstehen der Zeit vor der Entscheidung und für den Zustand der Angst, den Kafka immer wieder beschreibt. Aber wenn Anders dann von einer »Inversion« der Zeit, einer Umkehrung der Abfolge von Schuld und Strafe spricht, löst er das metaphysische Problem wieder in die zeitliche Abfolge von Ursache und Wirkung auf und hat nichts gewonnen als eine Geistreichelei.